Die Beziehung zu mir selbst und das stetige Neu-Kalibrieren wirken sich positiv auf mich aus. Ohne eine positive Beziehung zu mir selbst können sich Beziehungen zu anderen nicht positiv auswirken. Meine Erkenntnisse sind unter anderem durch den Philosophen Wilhelm Schmid geprägt, u. a. durch sein Buch „Selbstfreundschaft”.
Er stellt die Frage: „Welche Beziehungen der Liebe, der Freundschaft und Verwandtschaft sind mir so wichtig, dass ich sie als Teil meines Selbst betrachten will?”
Aufgrund meiner Persönlichkeit sind es nur wenige Menschen, die ich als Teil meines Selbst betrachte. Grundsätzlich halte ich Abstand zu Menschen und lasse sie nicht an mich heran. Wenn ich meine Firewall aber öffne, dann ganz: „Deiche brechen richtig oder eben nicht …” (kettcar, Deiche).
Schmids zweite Frage lautet: „Welche Erfahrungen sind die wichtigsten in meinem Leben und ohne die ich nicht geworden wäre, was ich bin?”
Bis vor sechs Jahren war mein Streben, ein extravertierter Mensch zu sein, ein fester Bestandteil meiner selbst. Das lag daran, dass meine Eltern meine Introversion als Mangel betrachteten und ich meine introvertierten Anteile als falsch empfand und unterdrückte; Introversion war nur ein Wort für mich. Heute ist die Introversion ein fester Bestandteil meiner selbst. Als ich den Myers-Briggs-Test zuletzt machte, war das Ergebnis der Persönlichkeitstyp INFJ-T. Ich erkenne mich im Ergebnis wieder – auch das sind feste Bestandteile meiner selbst. Seit sechs Jahren weiß ich auch, dass ich demisexuell bin. Das bedeutet, dass sexuelle Anziehung erst nach dem Aufbau einer tiefen emotionalen Bindung zu einer Person entsteht.
Die dritte Frage lautet: „Was ist mein Traum, dem ich im Leben folgen will, meine Sehnsucht, mein Glaube, mein Weg mit einem bestimmten Ziel oder auch ohne?”
Dies ist noch eine größere Baustelle.
Ich habe keinen Traum, dem ich im Leben folgen will. Vielleicht träume ich davon, mich einfach treiben zu lassen. Ich bin gespannt, was mir im Leben jeweils hinter der nächsten Ecke begegnet. Der Traum, mich immer wieder überraschen zu lassen – positiv wie negativ. Ich wachse an den Schmerzen, die ich erleide. Ich kann durch den Schmerz hindurchgehen.
Ich sehne mich nach Menschen, die mich verstehen und die ich verstehen kann. Ich sehne mich nach wertschätzenden, respektvollen Begegnungen auf Augenhöhe. Bedingungslose Beziehungen. Nach lebenslangen Beziehungen. Wenn solche Beziehungen vorzeitig enden, zerreißt es mir für eine gewisse Zeit das Herz.
Ich sehne mich nach dem einen Menschen. Mit dem ich ein gutes Stück Lebensweg Hand in Hand gehen kann, während wir in die gleiche Richtung blicken.
Mein Glaube gründet sich auf Hoffnung und Fügung. Nicht, dass etwas gut ausgeht, sondern dass es einen Sinn ergibt. Ich fühle mich den positiven Ideen des Christentums, des Humanismus, Mahatma Gandhis oder Martin Luther Kings verbunden.
Ich möchte meinen Weg aufrecht gehen, mit wachem Blick, voller Neugierde, Offenheit …
nur wer mit sich selbst
befreundet, positive
Beziehungen hat
… und Selbstlosigkeit.
Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben.
Wilhelm Schmids vierte Frage lautet: „Welche Werte halte ich für wertvoll, welche sollen Vorrang haben, wenn ich mich entscheiden muss?”
Beispielsweise zwischen Freiheit und Bindung, Risiko und Sicherheit oder Geiz und Großzügigkeit.
Verlässlichkeit ist für mich zum Beispiel ein wertvoller Wert. Ebenso Wahrhaftigkeit, Mut (wenn alles andere nicht hilft), Treue, Solidarität, Gemeinsinn, Respekt, Toleranz, Offenheit und Kompromissbereitschaft.
Schmids fünfte Frage lautet: „Welche Gewohnheiten will ich sorgsam pflegen, um mich wohnlich in ihnen einrichten zu können?”
Da ist zum Beispiel die tägliche Dosis Lieblingsmusik. Beispielsweise diese eine Stunde Ruhe nach dem Aufwachen, in der ich meine Träume langsam ausklingen lasse und mich auf den Lärm, die Fülle und die Hektik des kommenden Tages vorbereite. Die erste Tasse Kaffee, ritualisiert zubereitet. Tiefgründige Gespräche oder Gedanken.
Seine sechste Frage: „Was sind meine Ängste, Verletzungen und Traumata?” Auch diese gehören zu mir. Daran arbeite ich beständig. Sie sind nicht so übermächtig, dass ich diese Erfahrungen mit therapeutischer Hilfe abmildern müsste. Mein inneres Kind konnte ich bereits befrieden. Zurzeit schaue ich mir meine Traumata an und vermute, dass ich die Traumata meiner Eltern und Großeltern übernommen habe (Stichwort: Epigenetik). Teilweise wiederhole ich sie oder vermeide sie aus Angst vor Retraumatisierung.
Wilhelm Schmids siebte Frage: „Was ist in meinen Augen schön?” Wo finde ich es? Was kann ich tun, um es zu finden? Was sind für mich schöne Momente, Anblicke, Tätigkeiten, Erfahrungen, Genüsse, Gespräche, Gedanken, die ich bejahe? Was ist das Naturschöne, das menschlich Schöne, das Schöne von Kunst und Kultur, von Technik, von realen Dingen und irrealen Phantasien?”
Das Wissen und die Erfahrung um das Schöne sind ein Gegengewicht zu unguten Erfahrungen, denn sie lassen sich mit dem Schönen besser bewältigen. Ich denke an die tschechische Cembalistin Zuzana Růžičková, die mehrere Konzentrationslager durch die Hilfe von Johann Sebastian Bachs Musik überlebte („Lebensfuge. Wie Bachs Musik mir half zu überleben“, Propyläen). All diese Fragen zum Schönen kann ich für mich beantworten. Mein Schönes überwiegt meine unguten Erfahrungen. Es macht mich resilient. Das Schönste ist für mich, durch die Augen eines Menschen seine Seele sehen zu können. Dieses innere Strahlen, diese innere Schönheit.
Freundschaften wirken sich positiv auf mich aus. Nicht die oberflächlichen, sondern die tiefgründigen. Sie sind in der Anzahl sehr überschaubar. Mit ihnen kann ich über alles reden. Sich nicht schämen zu müssen.
Eine bedingungslose Liebe auf Augenhöhe mit gegenseitiger Wertschätzung und Respekt wirkt sich positiv auf mich aus. Keine (Macht-)Kämpfe mehr ausfechten zu müssen. Kompromisse eingehen zu können. Gegenseitig nachgeben zu können.
Auch virtuelle Beziehungen können Merkmale einer Freundschaft oder einer tief empfundenen Sympathie haben. Sie können verbindlich, bereichernd, anregend und inspirierend sein. Seelenverwandtschaft.
T. b. c.

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