Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Fleisch etwas Besonderes war. Gulasch, Rouladen oder Hühnerfrikassee gab es sonntags bei der Oma. Dazu gab es Nudeln, Kartoffeln oder Reis, eine Suppe vorweg, einen Salat und einen leckeren Nachtisch. Und ein Kinderglas voll Wein. Es war noch kein Billigfleisch vom Discounter, sondern vom Metzger. Es war der einzige Tag der Woche, an dem die ganze Familie gemeinsam am Tisch saß und gut gelaunt war. Es war ein Fest.
Im Laufe der Jahre gab es auch unter der Woche Fleisch. Etwas ganz Besonderes war es, wenn mein Vater nach der Arbeit ein Grillhähnchen mit nach Hause brachte. Auch dabei verbreitete sich gute Laune. Ganz selten kochte mein Vater selbst ein Huhn oder eine Pute. Während dieser Zeit blieb man besser der Küche fern. Diese Verbindung von Fleisch und guter Laune hat sich mir tief eingeprägt, diese gute Laune, die es sonst nur im Urlaub oder an Samstagabenden gab. Noch heute läuft mir das Wasser im Mund zusammen, wenn auf dem Supermarktparkplatz Hähnchen gegrillt werden.
Im Laufe der Jahrzehnte schwankte mein Fleisch- und Wurstkonsum. Ein schlechtes Gewissen zeigte sich, das ich jedoch sofort verscheuchte.
Dann lernte ich virtuell eine Frau kennen. Wir schrieben über Gott und die Welt, und dabei outete sie sich als Veganerin. Ich hatte viele Fragen, und sie hatte viele Informationen und Links zu Videos. Ich begann zu verstehen, was wir den Tieren von ihrer Geburt an bis zu ihrem grausamen Ende im Schlachthaus antun. Aus Verstehen wurde Mitgefühl. Ich begann, mich zu Hause vegetarisch zu ernähren. Das war der kleinste gemeinsame Nenner. Auf meinen vielen Dienstreisen, vornehmlich in große Städte, gelang es mir, mich vegan zu ernähren. Das vegane Angebot in Supermärkten und in der Gastronomie wächst seit nunmehr zehn Jahren von Jahr zu Jahr.
Als ich mich von meiner Familie trennte, gab es in den ersten eineinhalb Jahren des Alleinlebens einen Rückschritt und ich aß wieder Huhn und Fisch. Wiederum war es eine Frau, eine befreundete Kollegin, die …
Leben inmitten
von Leben das Leben will
und nicht sterben will
… mich an das Tierleid erinnerte und sich selbst seit einiger Zeit rein pflanzlich ernährte. Ich beschäftigte mich mit meiner Ernährung und meinem Bedarf und stellte binnen eines halben Jahres meine Ernährung auf rein pflanzlich um. Ich informierte mich darüber, welche Nährstoffe mir fehlen, wenn ich auf tierische Produkte verzichte, und wie ich sie ersetzen kann. So ernähre ich mich nunmehr seit zehn Jahren und mir mangelt es an nichts – ich bin bei bester Gesundheit. Mein Geschmack musste sich umstellen. Mittlerweile trauere ich keinem tierischen Produkt mehr hinterher.
Wenn heute auf dem Supermarktparkplatz ein Hähnchengrill steht und mir bereits hunderte Meter davor der Geruch in die Nase steigt, sodass mir das Wasser im Mund zusammenläuft, dann denke ich mit einem Lächeln auf den Lippen an die schönen Momente meiner Kindheit zurück. Heute kreiere ich mir meine eigenen schönen Momente, beispielsweise wenn ich in einem Restaurant sitze und merke, dass der Koch oder die Köchin ein Herz für Veganerinnen und Veganer hat und mir etwas Einzigartiges auf den Teller zaubert. Ja, das gibt es mittlerweile.
Ich erspare es mir und euch, von den Tatsachen zu erzählen: der Situation der Tiere, ihrer Leidensfähigkeit, dem Zusammenhang mit der Erderwärmung und den unzähligen Hungertoten außerhalb unserer kleinen Welt. Ich möchte nicht missionieren. Außerdem bin ich illusionslos, was die Möglichkeit angeht, den seit Generationen stattfindenden freien Fall der Menschheit noch aufzuhalten, der sich noch über viele Generationen hinziehen wird. Genau diese Langsamkeit und unsere kurze Lebensspanne verhindern das Aufhalten. Für jede neue Generation sind die Lebensumstände, in die sie hineingeboren wird, normal. Für jede neue Generation verschlechtern sich die Umstände nur marginal.
Wenn ihr tierleidfrei konsumieren möchtet, dann nehmt euch Zeit dafür. Stellt nicht alles auf einmal um. Stellt ein Produkt nach dem anderen um. Denn nur was langsam wächst, wächst nachhaltig. Wenn ihr Fleisch esst oder andere tierische Produkte konsumiert, dann tut dies bewusst. Es ist der letzte Respekt, den ihr dem Leben, das Leben wollte, inmitten von Leben, das Leben will, erweisen könnt.