Rolle: Redner | dailyprompt

Ich hatte gerade meine Ausbildung begonnen. Die Mutter eines ehemaligen Klassenkameraden und Freundes war im Vorstand eines Theaters, das Komparsen für ein Theaterstück aus der französischen Revolution suchte. Sie suchten zwei Soldaten, die einen Protagonisten verhaften und abführen sollten. Ich bin der Meinung, dass man möglichst viel ausprobieren sollte, und wir sagten deshalb spontan zu.

Wir traten über mehrere Wochen zu den unterschiedlichsten Zeiten auf, darunter auch einige Schülerinnen- und Schülervorstellungen morgens. Der Geschäftsführer meiner Firma fand mein Theaterengagement gut und gab mir für die Vorstellungen, die während meiner Arbeitszeit stattfanden, bezahlt frei. Von der Theaterbühne erhielten wir eine kleine Aufwandsentschädigung.

Wir gingen auch auf Tournee durch unser Bundesland, fuhren mit einem VW-Bus durch verschneite, nächtliche Landschaften und traten in Veranstaltungsräumen von dörflichen Kneipen und Gaststätten auf improvisierten Bühnen auf. Leider hatten wir keine Sprechrollen, sodass ich nur sagen kann: Ja, ich habe schon einmal auf der Bühne gestanden. Gestanden und mich bewegt. Drehbuchentsprechend.

Eine unangenehme Erfahrung war, dass es einen sexuellen Übergriff des schwulen Hauptdarstellers gab: Auf dem Weg von der Garderobe nach oben auf die Bühne fasste er mir zwischen die Beine. Dabei schaute er mich lüstern an. Er versuchte es nicht ein zweites Mal, nachdem er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah.
Seitdem kenne ich das Gefühl oder die Gefühle DANACH.

Trotzdem denke ich noch heute mit Freude an diese Auftritte auf den „Brettern, …

Rolle Theater
Testgruppenverantwortung
Betriebsratsvorsitz

… die die Welt bedeuten” zurück.

Damals wie heute habe ich eine Abneigung, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Damals wusste ich noch nicht, warum das so ist, heute weiß ich, dass es an meiner starken Introversion liegt.

Ich war einige Jahre lang Vorsitzender des Betriebsrats meiner Firma. Das bescherte mir einige Reden vor bis zu 150 Menschen. Dabei half mir meine Theatererfahrung: Ich spielte für die Reden einfach die Rolle des Betriebsratsvorsitzenden. So konnte ich ansprechende und überzeugende Reden halten.

Ich war auch dreimal für große Testgruppensitzungen verantwortlich, an denen Kolleginnen und Kollegen mehrerer Firmen über jeweils vier Wochen teilnahmen. Auch dort musste ich vor über 100 Menschen Reden halten. Ich war dabei kein Verantwortlicher, sondern spielte für die Reden diese Rolle und konnte so meine Introversion überwinden und wieder sicher auftreten (zu diesem Zeitpunkt war mir meine Introversion noch immer nicht bewusst). Bei der dritten Testgruppensitzung wurde ich an die Grenzen meiner psychischen und seelischen Belastbarkeit geführt, da die Ereignisse den Rahmen einer Rolle sprengten.

Einige Jahre später wurde mir meine Introversion bewusst. Seitdem halte ich keine Reden mehr in Gruppen mit mehr als zehn Personen.

Dafür bin ich in kleinen Gruppen oder unter vier Augen umso gesprächiger. Hier auf meinem Blog empfinde ich mich manchmal als geschwätzig.

Ich möchte keine dieser Erfahrungen missen, da sie mir bei der Bewältigung zukünftiger Krisen helfen.

Täglicher Schreibanreiz
Warst du schon einmal auf der Bühne gestanden oder hast eine Rede gehalten?