Wer hat verloren? Du dich? Ich mich? Oder, oder wir uns? | on this day in music

Der am 22.12.1985 erschienene Song „Jeanny“ von Falco ist einer der umstrittensten Titel der deutschsprachigen Popgeschichte. Er thematisiert die Entführung – und mutmaßlich auch die Gewaltanwendung oder Tötung – eines jungen Mädchens aus der Perspektive des Täters.

Der Song ist als Monolog eines psychisch instabilen Täters angelegt. Er spricht das Opfer, die 19-jährige Jeanny, direkt an. Die Szenerie spielt in einem dunklen, nassen Wald. Der Täter wirkt besitzergreifend und zeigt deutliche Anzeichen von Realitätsverlust (Wahnvorstellungen).

So beobachtet er beispielsweise ihren verwischten Lippenstift und interpretiert ihre Ablehnung als geheime Zustimmung. Er ist überzeugt, dass sie nun „zusammen“ sind und er sie vor der Außenwelt beschützen muss, während er sie gleichzeitig gefangen hält. Hinweise wie der verlorene Schuh und die polizeiliche Meldung über ein vermisstes Mädchen lassen darauf schließen, dass ein Gewaltverbrechen stattgefunden hat.

Die Strophen sind bedrückend, kühl und fast flüsternd vorgetragen, wodurch die bedrohliche Nähe des Täters spürbar wird. Der Refrain wirkt dagegen fast wie eine epische Ballade. Der Text distanziert sich scheinbar von der Tat und beschreibt Jeanny als „einsames kleines Mädchen“ in einer kalten Welt, wodurch die tragische und hoffnungslose Situation unterstrichen wird.

„Jeanny“ ist die beklemmende Darstellung einer Zwanghaftigkeit. Der Song lässt bewusst offen, ob das Opfer zum Zeitpunkt des Monologs noch lebt. Er spielt jedoch massiv mit der Angst und der psychologischen Verfassung eines Entführers, der die Grenze zwischen Liebe und Gewalt nicht mehr unterscheiden kann.

https://www.deezer.com/de/track/119436354

https://music.apple.com/de/song/jeanny/1544272676

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